Bauer, Vater, Rocker, Surfer, sucht
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Es sieht aus wie eine Familienidylle. Bruno Schwaller, 36 Jahre alt, fährt mit dem Traktor übers Feld und hält an. Er steigt vom Gefährt hinunter und überreicht seiner Monica den zweijährigen Edi, der während dem Traktorfahren eingeschlafen ist. Monica, seine 38-jährige Frau, hat die fünfjährige Liz und die siebenjährige Eli in den Holzkorb ihres holländischen Fahrrads einsteigen lassen und ist an den Kartoffeln vorbei zum abgeernteten Rapsfeld gefahren, das Bruno mit dem Traktor für die nächste Saat vorbereitet.
Liz und Eli steigen aus dem Korb und tollen durch die warme, dicke Juliluft, die jederzeit durch ein Gewitter zerrissen werden kann. Doch die Wolken, die den Horizont schwärzen, werden vorbeiziehen. Heute bleiben die Felder verschont. Doch das spielt jetzt auch keine grosse Rolle mehr. Der verwässerte Frühling hat die Felder schon lädiert. Bruno zieht seine schwarze Baseballmütze, ein Merchandising der Punkband Ticking Bombs, aus und hält seine strohblonden Stoppeln in die Sonne. Mit der breiten Nase, den himmelblauen Augen und dem Kumpelgrinsen erinnert er an Woody Harrelson, den man in Hollywood gern für die Rolle des spitzbübischen Buddys bucht.
Eigentlich müsste Bruno weinen. Aber er lacht, als er über das abgedroschene Rapsfeld schaut. 23 Kilogramm auf die Are hat es gegeben, im vergangenen, sonnigen Jahr waren es über 40. 1600 Franken hat er an den 1.5 Hektaren verdient – Maschinenkosten, Saat und Arbeitszeit nicht abgezogen. „Die schlechteste Rapsernte aller Zeiten“, meint Bruno, der seit neun Jahren bauert. Sein Nachbar Christian Murer hatte mehr Glück. Murer, der einst in Bauer, ledig, sucht sein Glück versuchte, habe 33 Kilo pro Are gemacht, erzählt Bruno. „Vielleicht sind die Gewitter im Frühling mehr durch deine Felder gegangen“, tröstet ihn Monica. „Ich habe nicht zum besten Zeitpunkt angesät“, erwidert Bruno. Er grinst. „Es ist halt schon immer ein Battle, wer die besten Erträge hat - wenn auch ein freundschaftlicher.“
Auch die anderen Felder werden weit weniger abwerfen als im Rekordsommer vor einem Jahr. An der Gerste, die Schwaller anfangs Juli eingefahren hat, hat er netto knapp 90 Franken verdient. „Schauen wir mal die Kartoffeln an“, meint er, „dann beginne ich wirklich zu weinen.“ Das Kartoffelfeld ist ein Fleckenmuster aus hellgrün und sattgrün. In guten Jahren sieht er nur dunkelgrün. Die Kartoffelernte im September, das zweitgrösste Standbein im Hof Schwaller, wird auch kein Hit werden.
Doch mitten im Kartoffelfeld steht die Versicherung der Familie Schwaller. Ein länglicher Wellblechbau, aus dem es, wenn man sich ihm nähert, süsslich-erdig riecht. 8000 Hühner tummeln sich darin und im Aussenbereich. Sie sind 28 Tage alt. In einigen Tagen werden sie eingefangen, in den Schlachthof gefahren und zum Schluss unter einer Plastikfolie im Coop liegen. Die Hühner sind das Grundeinkommen der Familie Schwaller. Sie stellen zwei Drittel des Jahresbudgets, egal ob draussen die Sonne scheint oder nicht. Sie sichern die Existenz seiner Familie, die etwa ein Durchschnittseinkommen verdient (über Zahlen reden Bauern ungern). Alles andere, hat Bruno Schwaller vor kurzem entschieden, ist unwichtig. Er braucht mehr Zeit für sich.
Es ist erst kurz vor Drei, aber die Feldarbeit ist für heute beendet. In ein paar Minuten werden Brunos vier Schwestern eintrudeln; sie haben sich spontan zum Kaffee angemeldet. Nach dem Abendessen wird er im Citroën-Familien-Van nach Obergerlafingen fahren, wo er zweimal in der Woche in der 3. Liga-Mannschaft Eishockey trainiert. Auch am Tag darauf, einem Freitag, wird Bruno wieder kurz nach Mittag Feierabend machen. Am Nachmittag fährt er mit der Hardcore-Band Chelsea Deadbeat Combo nach Zürich. Am Abend geben sie in der legendären Heavy-Rock-Bar Kontiki ein Konzert. Bruno ist Manager der Band und wird den Merchandising-Stand betreuen.
Bruno Schwaller ist kein typischer Bauer. Er ist ein Bauer der Generation Y. Er will alles: Bauern, Ferien, Party, Skiferien, Surfferien, mit der Frau ausgehen, Eishockey, Konzerte organisieren, die Kinder grossziehen und selbst ein bisschen Kind bleiben. Doch einfach ist das nicht immer. Bruno Schwaller hat deshalb nicht nur eine harte Zeit vor (schlechte Ernte), sondern auch hinter sich. Im vergangenen Oktober lag er drei Monate lang im Bett, während seine Eltern und Monica den Hof schmissen. Schwaller hatte eine Depression. Und versucht seither, sein Leben zu entschleunigen.
Ein Bauer in der Badi
Eine Woche zuvor. Ein regnerischer Tag, wie ihn das Jahr 2016 am Laufband produziert. Für Bauern sind das faule Tage, weil sie auf den Feldern nicht viel machen können. Für Bruno und Monica heisst das nicht, dass sie heute ausspannen. Die vier Kinder plärren und rennen umher; die Sommerferien haben gerade begonnen. Sie ziehen sie für das nasse Wetter draussen an. Schwallers wollen ihrem Nachwuchs dasselbe bieten wie alle anderen Familien. Monica fährt Eli zum Ponyreiten auf einem nahen Hof, Bruno fährt Liz und Wim ins Schwimmbad Solothurn, wo sie einen Schwimmkurs besuchen. Erst gingen sie in den Kurs im Schwimmbad Gerlafingen, doch der war nicht gut, erzählt Bruno auf der Fahrt im langgezogenen Solothurnerdeutsch, also gingen sie ins städtische Bad, wo das Programm cooler ist.
Im Schwimmbad springt Wim, die Wasserratte, direkt ins graue Wasser, über das der Wind fegt, während Liz heute keine Ambitionen zeigt. Bruno steht inmitten von Müttern und wenigen Männern, die ihre Kinder in die Schwimmklasse bringen, und unterhält sich locker mit den Schwimmlehrerinnen, die in Neoprenanzügen im Wasser stehen. Bruno ist so ungefähr das Gegenteil des maulfaulen, tollpatschigen Bauern, wie man ihn aus Sendungen wie Bauer, ledig, sucht kennt. Später geht er mit Liz in die Caféteria. Er lässt sich eine Schale aus der Maschine. „Liz, willst du auch was?“ - „Das!“ Liz zeigt auf eine Flasche mit blauer Flüssigkeit, ein künstliches Zuckerwasser namens „Twist and Drink“. „Nein“, entscheidet Schwaller, der als Kind selten was anderes trank als Wasser oder Most. „Das ist pures Gift. Zum Ende der Ferien kriegst du so eins.“ Als er draussen Kaffee trinkt, gibt er Liz dann doch einen Fünfliber, damit sie was gänggelen kann. Schwaller will seine Kinder anders erziehen, als er selbst erzogen wurde.
Bruno Schwaller wuchs wie viele Bauernkinder seiner Generation auf. Zwar war er als jüngstes von fünf Kindern das Nesthäkchen und musste am wenigsten auf dem Hof mithelfen. Die Eltern hat er in Erinnerung wie die meisten Bauernkinder: Der Vater im Stall oder auf dem Feld, die Mutter auf dem Hof, immer beschäftigt. „Das ist das Schwaller-Gen“, meint Bruno, „arbeiten, arbeiten.“ Und sonntags ging man in den Gottesdienst.
Weil sein Vater noch zu jung für eine baldige Pensionierung war, rieten die Eltern Bruno, einen anderen Beruf zu lernen – obwohl er das Bauern mochte. Er entschied sich für Schreiner. Inzwischen hatte er aber eine andere Leidenschaft entdeckt: Musik. Er mochte Rock, den harten, Punk und Metal. In Solothurn gab es einen Ort, an dem man damals diese Musik hören konnte: Das Kofmehl, im Mittelland noch heute eine der ersten Adressen für gute alternative Musik. Bruno ging an Konzerte und Partys und organisierte bald auch selbst welche. Sein Leben entwickelte sich zunehmend in die gegenläufige Richtung dessen, was man sich unter einem traditionellen Bauer vorstellt. Bruno wollte nicht ins Militär. Er ging an die Aushebung, erzielte das beste Sportresultat, führte aber ein Gespräch mit dem Psychiater und stieg auf Zivildienst um, den er unter anderem in einer Drogenabgabestelle leistete. Nach dem Militär suchte er sich keinen fixen Job. Er arbeitete mal hier, mal da, lebte für die Musik, ging auf Reisen, liess sich ein Tattoo nach dem anderen stechen. Zum offenen Streit mit dem Vater, sagt Bruno, kam es nie. Aber er kam mit dem Leben seines Sohnes nicht klar. „Einmal, als ich auf dem Rücken ein Tattoo stechen liess“, erzählt Bruno, „fragte er mich, auf welcher Seite ich jetzt stehe. Ich weiss nicht, was genau er damit meinte, aber es war klar, dass er es nicht toll fand.“
Dann lernte er Monica kennen, die auch im Kofmehl herumhing. Monica war Surferin und verbrachte einen Teil des Jahres in Indonesien, wo es ihrer Meinung nach die besten Wellen gibt. Mit Ende 20 heirateten sie. Sie hatten genug gesehen und erlebt. Brunos Vater ging langsam auf die Pensionierung zu. Bruno entschied sich, in dessen Fussstapfen zu treten. Er holte die Landwirtschaftslehre nach und übernahm vor neun Jahren den Hof. Seine vier älteren Schwestern, die kein Interesse am Hof zeigten, erhielten im Gegenzug Bauland. Der Prozess der Ablösung begann. Im Jahr der Hofübernahme kam ihr erstes Kind, Wim, zur Welt. Bruno baute den alten Wohnbereich des Hofs um. Die Eltern zogen sich in eine zweite, kleinere Wohnung auf dem Hof zurück. Doch sie waren noch immer da. Und damit ein unausgesprochenes Problem: Dass sich Bruno nicht ganz von ihnen akzeptiert fühlte.
Als Bruno den Hof übernahm, arbeitete er lange und hart. Monica machte mit, hütete die Kinder, aber nach fünf Jahren fand sie: Schluss mit der Plackerei. „Man lebt nicht ewig“, erzählt Monica am Tisch in der hellen Küche, „ich wollte wieder mal Ferien.“ Ferien, sagt Bruno, sei etwas, was viele Bauern aus Prinzip nicht machen würden. „Man ist Bauer, man krampft.“ Die einzigen richtigen Ferien aus der Kindheit, an die sich Bruno erinnert, sind Skiferien in Engelberg. Nach zwei Tagen gingen sie wieder heim, weil es dermassen regnete. Einmal besuchten sie den Europapark, manchmal wanderten sie, und damit hatte es sich.
Doch auch wenn der Wille da ist – ein organisatorisches Manöver ist die Reise einer Bauernfamilie allemal. Ihre ersten Ferien, erinnert sich Monica, fielen fast wegen der Kartoffelsaat ins Wasser. Denn um Kartoffeln zu säen, muss man einen schönen Tag erwischen, die Tage vor dem Abflug waren verregnet. „Wir planten bereits, dass Bruno einen späteren Flieger nehmen würde“, erzählt sie, „aber am Tag vor dem Abflug war es schön.“ Ein andermal, erzählt sie, mussten sie auf dem Rückweg von Österreich Helfer für die Kartoffelernte organisieren, da die Migros möglichst schnell eine grosse Lieferung Kartoffeln brauchte. Ferien kosten auch Geld. Im vergangenen Sommer arbeitete Schwaller bei einem befreundeten Schreiner, während die Sonne seine Felder austrocknete. In der Nacht schlief er deshalb kaum, sondern bewässerte seine Äcker.
Dieser Spagat ging nicht spurlos an Bruno vorbei. Im letzten Oktober spürte er eines Tages eine alte Wunde – erst eine körperliche. Seine Arme und Beine fühlten sich taub an. Es waren dieselben Symptome, die er vor fünf Jahren kriegte, als er beim Tanzen ausrutschte, auf dem Hinterkopf landete und einen kleinen Hirnschlag erlitt, der jedoch ohne bleibende Schäden verging. Schwaller hoffte zuerst, dass die Taubheit verschwinden würde. Doch als sie blieb, suchte er den Arzt auf. Dort klappte er zusammen. Nach dem Gespräch wurde klar: Er hatte eine Depression.
Drei Monate lang lag Bruno im Bett und ging höchstens raus in den Wald spazieren, auch so was, was man als Bauer nicht tut. Ein Bauer geht in den Wald, um zu arbeiten. Auch in eine Behandlung geht ein Bauer nicht einfach so. Bruno fragte erst einen Kollegen, der bei einem Psychiater gewesen war, ob er ihm das empfehle. Unbedingt, sagte der. „Natürlich fällt einem da ein Zacken aus der Krone“, sagt Bruno, „aber heute bin ich froh, dass ich es getan habe.“ Im Gespräch mit der Psychiaterin habe er herausgefunden, dass er von den Eltern nie genug Akzeptanz für sein Leben gespürt habe.
Sieben-Tage-Woche
Bei anderen, weniger rebellischen Bauern im Dorf geht dieser Generationenwechsel sanfter. Zum Beispiel bei Christian Murer. Christian, 30 Jahre alt, ist wie Bruno Schwaller ein tiefenentspannter Typ. Ansonsten aber so ziemlich genau das Gegenteil von ihm. Christian, ein Hüne mit markanter Nase, steht in Fielmann-T-Shirt und Arbeitshosen auf dem Hof. Manchmal redet er so leise, dass man nachfragen muss. Er entspricht viel eher Prototypen des Bauern, der eher mal ein Wort zu wenig als eins zu viel verliert.
Vor zwei Jahren machte Christian bei der zehnten Staffel von Bauer ledig sucht mit; seine Schwester hatte ihn angemeldet. Mit der Frau von der Sendung klappte es nicht, inzwischen hat er aber eine Freundin, die er im Ausgang kennengelernt hat. „Nach der Sendung war es schon verrückt“, erzählt er während einer Pause in der Stube und schüttelt den Kopf über seinem Glas Wasser. „Ich musste im Ausgang ständig für Fotos posieren.“
In einigen Jahren wird auch Christian den Hof übernehmen. Doch sein Lebensstil wird eher demjenigen der Bauerngenerationen vor ihm ähneln als dem von Bruno Schwaller. Christian arbeitet jetzt schon oft sieben Tage in der Woche, damit am Sonntag die Mutter auch mal frei nehmen kann. Die aufwändigste Aufgabe bei den Murers sind die – zwar vollautomatisierte - Eierernte von den 8000 Hühnern, die jeden Morgen zwei Stunden in Anspruch nimmt, sowie das Melken und Pflegen der 25 Kühe. Christian wird sich nie die Freiheiten herausnehmen können, die Bruno hat. Aber das sei ihm egal, sagt er. „Man gewöhnt sich daran“, meint er, „man wächst hinein.“
Natürlich ist auch sein Leben anders als jenes seines Vaters, der den Betrieb 1979 von einem ledigen Onkel übernahm. Christian ging im Lehrjahr auf einen Bauernhof im Fribourgischen und 2007, mit 21, für sechs Monate auf einen Betrieb in Neuseeland mit 1500 Kühen, wo er wie andere „Bimbo-Praktikanten“ 800 Franken im Monat verdiente. Danach reiste er mit drei Kollegen, die dasselbe taten, durch Neuseeland und Australien. 2011 flog er mit Kollegen nach Kanada. Er lacht, während er den Laderaum für den kleinen Raps zuklebt. „Aber ich bin nicht so der Ferientyp. Ich muss nicht jedes Jahr weg.“ Wenn er an den Spengler-Cup und den Skiweltcup in Adelboden gehen kann, reicht ihm das. Wann er zuletzt in einer Badi war, weiss er nicht mehr. Er zuckt mit den Schultern. „Ich bin nicht so der Badityp.“
Beim Mittagessen sitzen Vater Murer, Christian, seine Schwester und die Mutter um den Tisch. Geschnetzeltes mit Ananas, Bratkartoffeln, Salat und Erbsen werden herumgereicht. Vater und Mutter erzählen von den früheren Zeiten, als der Onkel noch im Stöckli wohnte und manchmal durch ihr Wohnzimmer gestapft kam. „Da mussten wir ihm sagen, das geht nicht. Das ist jetzt unsere Wohnung.“ In einigen Jahren werden auch sie die Hauptwohnung auf dem Hof verlassen und in die geplante Nebenwohnung ziehen. Der Kreislauf des Bauernlebens.
Gemäss einem Lagebericht über die jungen Bauern der Schweiz, die der Schweizer Bauernverband 2015 publizierte, gehen auch heute die meisten Jungbauern einer eher traditionellen Landwirtschaft nach. Sie seien „Chrampfer“, heisst es im Bericht, die sich als Unternehmer verstehen, vom Verkauf ihrer Produkte leben wollen und die Abhängigkeit von Subventionen als unbefriedigend erachten. „Wer Direktzahlungen statt Output optimiert, bei dem leidet über kurz oder lang der Berufsstolz“, heisst es im Bericht.
Bio und Lidl
Auch wenn Bruno Schwaller in die Surfferien geht, gehört er im Grunde doch zu dieser Mehrheit der konventionellen Bauern, die Eier, Poulet, Milch und Raps produzieren statt Schafsmilchjoghurt, Quinoa oder Wollschweinfleisch. Bruno motzt über die Bürokratie, die die Direktzahlungen verursachen, über die Studierten und Beamten in der Landwirtschaftsbürokratie und den Einkaufsabteilungen der Grossverteiler, über gewisse Tierschutzvorschriften. „Ich bin für Tierschutz“, sagt er, „aber einige Leute wollen jedem Huhn ein Mäntelchen überziehen und es wie einen Menschen behandeln. Tiere sind Tiere.”
Mitte Juli, an einem der heissesten Tage, kommen Ute und Erlen, zwei alte Freunde von Monica, mit ihren zwei Mädchen auf dem Hof der Schwallers zu Besuch. Monica hat gekocht. Es gibt Quiche, Tomaten-Mozzarella-Salat, Fenchel und gelbe Zucchetti aus dem Garten. Monica kennt Ute und Erlen von ihrem früheren Leben, von den Surfreisen auf Indonesien. Inzwischen, sagt Monica, hätten sich alle ihre Freunde in einem halbwegs bürgerlichen Lebens eingerichtet. „Manche hatten zwar noch Temporärjobs mit den Kindern und reisten mit ihnen mit Bussen herum, aber inzwischen haben immer mehr feste Jobs.“ Ute bleibt mit den Kindern zuhause, Erlen, gelernter Hochbauzeichner, arbeitet sommers in einer Gärtnerei, winters führt er in Grindelwald eine Bar, die er in einen alten Solothurner Linienbus eingebaut hat.
Nach dem Mittagessen erzählen Bruno und Monica, dass sie ihr Gemüse nun auch im Lidl einkaufen.
„Früher waren wir immer so: Lidl ist böse, die haben nur Zeugs aus Deutschland oder von noch weiter weg“, sagt Bruno.
„Aber dabei ist das Gemüse auch aus der Schweiz“, sagt Monica. „Dasselbe Gemüse, einfach ein Drittel billiger als im Migros oder Coop.“
„Die bauen halt keine Tempel dafür und stellen einfach Kisten hin, aber das ist ja egal“, sagt Bruno, „und die Arbeitsbedingungen sind in der Schweiz ja reguliert.“
„Ich glaub, die meisten arbeiten temporär“, wendet Monica ein.
„Aber es ist halt wirklich billiger.“
Später, als Ute und Monica Kaffee trinken und aus den Augenwinkeln ihre zwischen Küche und Terrasse hin- und herrennenden Kinder observieren, diskutieren Bruno und Erlen am Küchentisch über Sinn und Unsinn der heutigen Nahrungsmittelindustrie. Sie sind sich einig über viele Sachen, über die Absurdität von Spekulation mit Nahrungsmitteln, sie sind gegen übertriebenen Einsatz von Pestiziden, kurz; über die ganzen Übertreibungen, die Globalisierung und Kapitalismus mit der Landwirtschaft anstellen. Aber in einem werden sie nicht ganz einig.
„Ich kaufe am liebsten Bio“, sagt Erlen, „dann weiss ich sicher, dass es nachhaltig produziert ist.“
„Aber mit Bio kannst du die Welt nicht ernähren“, entgegnet Bruno, „Bio hat fünfmal weniger Ertrag.“
Erlen, gelernter Hochbauzeichner, der aber nicht mehr im Büro arbeiten will, ist ein typischer Vertreter von jungen Schweizern, die zurück zu einer möglichst unberührten Natur wollen. Diese Sicht der spiegelt sich im 2014 grundlegend revidierten System der Direktzahlungen: Subventionen werden nicht mehr nach Anzahl Tieren ausgeschüttet, sondern nach der Fläche. Das Ziel ist eine extensive Landwirtschaft mit wenig Dünger- und Kraftfuttereinsatz. Bruno produziert mit ÖLN (ökologischer Leistungsnachweis), dem Standardlabel der Schweizer Bauernhöfe, das einen sparsamen Einsatz von Chemie und im internationalen Vergleich hohe Standards im Tierschutz garantiert. Schwaller ist auch nicht prinzipiell gegen Bio und Naturschutz. „Aber ich will Bauer sein“, sagt Bruno, „nicht Landschaftsgärtner.“
Das konservative Familienmodell
Schwallers bauern nicht nur traditionell. Sie leben auch das konservative Familienmodell. Monica passt auf die Kinder auf und schmeisst den Haushalt und den Garten, zu dem auch einige Schafe und Ziegen gehören. Sie erntet Gemüse, legt es ein und verstaut es in der alten Vorratskammer, wie es Generationen von Bäuerinnen vor ihr getan haben. Wenn Bruno am Feierabend und am Wochenende unterwegs ist - im Kofmehl, im Eishockey, mit Freunden – bleibt sie zuhause. Oft müssen wir uns rechtfertigen“, sagt Monica, „weil Bruno all das macht, während ich auf die Kinder aufpasse.“ Sie sieht das anders. „Er arbeitet ja praktisch zuhause. Er isst mit uns zu Mittag, er spielt mit den Kids oder nimmt sie manchmal mit aufs Feld.“ Monica beteuert, dass sie an ihrer Rolle als Hausfrau Freude habe. „Ich mache das gern“, sagt sie, „und am Abend brauche ich keinen Ausgang mehr. Im Moment nicht jedenfalls. Ich brauche Zeit für mich selbst.“ Mit Bruno geht sie manchmal aus in ein gutes Restaurant, geniesst ein Glas Wein und ein Stück Fleisch, das kein Poulet ist.
Zurzeit, sagt Monica am Mittagstisch in der Küche, fühle sie sich noch eher als Frau des Bauern denn als Bäuerin. Monica hat das KV gemacht, sie kommt nicht aus einer Bauernfamilie. Doch wenn sich in den kommenden Jahren Brunos Eltern ganz aus der Arbeit auf dem Hof zurückziehen werden, wird auch sie Aufgaben auf dem Feld übernehmen müssen. „Ich freue mich darauf, die Maschinen zu bedienen, den Traktor zu fahren.“ Und auch die Kinder werden langsam mithelfen müssen, denn jeder Bauernhof ist auf die Arbeitskräfte in der Familie angewiesen. Sie werden bei der Ernte helfen, die Hühner fangen, irgendwann Traktoren fahren. Und dann, in vielen Jahren, wird sich auch bei Bruno Schwaller die Frage nach der Hofübergabe stellen. Vor einigen Wochen, erzählt Monica am Familientisch, machte sich ihr Ältester, der neunjährige Wim, zum ersten Mal Gedanken über seine Zukunft. Er sagte schlicht: „Ich werde mal Bauer.“
Rückfall
Bruno muss aber erst wieder an sich und die Gegenwart denken. Mitte August sitzt er im Kofmehl, der Musikclub am Stadtrand von Solothurn, ein rostroter Kubus mit Graffitti. Er riecht wie jeder Club tagsüber nach abgestandenem Bier und Ausdünstungen, nach diesem unverwechselbaren Geruch, den eine gute Party hinterlässt. Bruno hat eine Sitzung mit dem Kofmehl-Team hinter sich, jetzt schenkt er Wasser ein und setzt sich an den Tisch in der Küche des düsteren Raums. Er grinst wie immer, aber er ist sichtlich aufgewühlt. Vor drei Wochen hat er einen weiteren Breakdown erlebt. Nach einem Wochenende in München, wo er mit Freunden ein Konzert besuchte, und einem Tag am Gurtenfestival, legte es ihn flach. Er kehrte nach Hause zurück und schaffte es nicht auf die Beine. Einige Tage lang kam er wieder kaum aus dem Zimmer. Der Vater merkte es. „Geht es wieder nicht so gut?“, fragte er. Sonst redeten sie nicht gross darüber.
Bruno ging wieder zur Therapeutin. Sie machten eine sogenannte Familienaufstellung. Die Therapeutin versetzte sich in andere Familienmitglieder, zum Beispiel seinen Vater. Brunos Augen leuchten, wenn er davon erzählt. „Das war krass. Das sind so Energien.“ Er lacht verlegen. „Fast so...Hippiescheiss, aber das war krass.“ Die Therapeutin versetzte sich in ihren Vater und versuchte ihm zu zeigen, wie er sich wohl fühle. „Ich habe gespürt, wie ich diese aufgestaute Energie losgelassen habe“, sagt Bruno.
Er habe eine Entscheidung getroffen, sagt Bruno. Er will sein Leben ändern. Er will weniger arbeiten. Aber nicht weniger an Konzerte gehen. „Das ist für mich Erholung“, sagt er. Er will egoistischer werden; nicht immer allen helfen, die anrufen. Er erzählt, wie er letztes Jahr die Bar für seinen Eishockeyverein an der örtlichen Chilbi schmiss und dabei jeden Tag nach dem Rechten schaute. Er will lernen, auf dem Liegestuhl zu sitzen und an nichts denken.
Im Oktober wird er nochmals zu der Therapeutin gehen. Aber zuerst steht die Kartoffelernte im Programm. Und Surfferien mit der Familie auf Fuerteventura.